1717 - Die verheerende Weihnachtsflut

Die Schrecken, die sich in den Nordseemarschen in den letzten Tagen des Jahres 1717 und zu Anfang des folgenden Jahres zutrugen, wurden von Generation zu Generation weitererzählt und sind selbst noch heutzutage bei vielen Menschen hinterm Deich dann...

Die Schrecken, die sich in den Nordseemarschen in den letzten Tagen des Jahres 1717 und zu Anfang des folgenden Jahres zutrugen, wurden von Generation zu Generation weitererzählt und sind selbst noch heutzutage bei vielen Menschen hinterm Deich dann wieder präsent, wenn Orkane die See aufwühlen und die Küste bedrohen. Im Unterschied zu den Fluten von 1362, 1511, 1634 und 1825, die – trotz vieler Opfer und großer Schäden – oft regional begrenzt waren, wütete die Weihnachtsflut an der gesamten Nordseeküste fast überall gleich schlimm von Holland bis Jütland und traf obendrein die Bevölkerung fast unvorbereitet.

Bild 1 - Kupferstich

Bild 1: Kupferstich von der schrecklichen Katastrophenflut in der Heiligen Nacht und des 1. Weihnachtstages 1717

Eine lange Periode des Friedens und Wohlstandes hatten die Marschbewohner hinter sich, als im Jahre 1715 eine bis dahin unbekannte Rinderseuche auftrat, die den Viehbestand um 60.000 Tiere dezimierte. Es ist überliefert, dass im Jahr darauf Ungezieferplagen der Landwirtschaft schwer zusetzten. Im Frühjahr 1716 wurden Weiden und eingesäte Felder von Massen kleiner schwarzgrauer Larven, befallen und kahlgefressen, so dass es den ohnehin wenigen übriggebliebenen Kühen an Futter fehlte. Im Sommer 1716, so erzählen die Chroniken übereinstimmend, wimmelte es von Mäusen, die alles Getreide abnagten, was den Larven widerstanden hatte. Als sich das Viehsterben im Laufe des Jahres 1717 fortsetzte, deuteten dies nicht wenige als ein Urteil Gottes, der damit die Bevölkerung für ihren Hochmut und ihren üppigen Lebenswandel in der Vergangenheit strafte.

Die Sturmflut 1717

Kurz vor Weihnachten kam starker Wind aus Südwest auf und hielt mehrere Tage an, wodurch viel Wasser durch den Ärmelkanal in die Nordsee gedrückt wurde. Am Freitag, dem 24. Dezember, Heiligabend, drehte der Wind nachmittags auf West, sprang abends auf Nordwest um und wurde immer heftiger. Die angestauten Wassermassen drängten sich gegen die friesischen Küsten. Da aber gegen Mitternacht der Sturm abflaute und der Mond im letzten Viertel stand – also kurz vor Beginn einer Nipptide – konnte nach allen Erfahrungen die See nicht wesentlich über eine »ordinäre Flut« ansteigen. Die Glocken der Kirchen in den Marschen läuteten die Heilige Nacht ein und die Menschen gingen nichts Böses ahnend zu Bett.

»Unvermuthet«, schreibt der Chronist Friedrich Arends, »zwischen 1 und 2 Uhr Nachts erhob sich der Sturm aus Nordwesten mit ungeheurer Wuth und plötzlich schwoll die See auf zu nie erhörter Höhe und lange vor Eintritt der Fluth. Erst gegen halb 7 sollte in Emden höchste Fluthzeit sein, etwas später in Jever und den östlichen Gegenden. Aber schon um zwei Uhr war das Wasser so hoch gestiegen, daß es in Emden durch die gantze Stadt strömte. Mit unerhörter Wuth stürmten die Wogen die Deiche an; wenige Augenblicke und sie erreichten die Höhe derselben, wogten gleich darauf 4, 5, 6 Fuß hoch darüber hin, zerrissen, durchbrachen sie an mehrern Stellen, und ergossen sich mit tosender Gewalt und reißender Schnelle über die weiten Ebenen. In kurzer Zeit waren diese bis zum Urgestade in einen wild aufgeregten See umgewandelt«.

                         Bild 2 - Kupferstich            Bild 3 - Kupferstich

Bilder 3 und 4:  Kuperstich zur Weihnachtsflut 1717 (links) und Deichbruch auf einem Kuperstich aus dem 17. Jahrhundert (rechts)

Die Katastrophe traf nicht alle Küstenabschnitte gleichzeitig: Die Krummhörn und das nordwestliche Ostfriesland wurden bereits zwischen 2 und 3 Uhr überflutet, die schleswig-holsteinische Westküste und die Nordfriesischen Inseln sowie das niederländische Friesland zwischen 3 und 4 Uhr. Im Jeverland brachen zwischen 3 und 5 Uhr die Deiche.

Bild 4 - Karte

 Bild 4: Eine rekonstruierte Karte der Überflutungsgebiete nach heute bekannten Quellen auf einer Grundlage von 1807

Bild 5 - Karte

      Bild 5: Die Karte mit den Überflutungsgebieten der Weihnachtsflut aus dem Homann-Verlag, Nürnberg, 1718

Text: Michael Remmers

Abbildungen: Archiv Michael Remmers und Wikimedia

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